Die Nacht, in der ich einen Jungen bekam – der Tag, an dem Sam Neua Fahrrad fuhr

Es gibt Momente im Leben, von denen man weiß, wenn ich den nächsten Schritt gehe, ändert das alles. Aber beginnen wir von vorne.

R1aSeit über 30 Jahren führen mich meine Reisen nach Asien – unterschiedlichste Landschaften, Kulturen, aber auch Armut prägen diese Länder. Vor 4 Jahren führte mich meine Reise erstmalig in das touristisch wenig bekannte südostasiatische Land Laos. Vom ersten Moment an war ich fasziniert von den Menschen und ihrer Geschichte und so führte mich meine Reise weit in den Nordosten in die Provinz Houaphan. Während der Zeit des Indochinakrieges hatte die prokommunistische Befreiungsbewegung Pathet Lao in Vieng Xai ihr Hauptquartier aufgeschlagen und die Führungsriege nutzte etliche Höhlen als Wohnungen und Schutzräume. Geschichtlich und kulturell auf jeden Fall ein Highlight, allerdings ohne jegliche touristische Infrastruktur.

So war meine Freude groß, in Vieng Xay ein indisches „Restaurant“ gefunden zu haben, in welchem ich jeden Abend sitzen, essen und das laotische Bier genießen konnte. Bereits am ersten Abend konnte ich beobachten, wie ein kleiner, völlig verdreckter und behinderter Junge über die Straße stolperte und ihn die Einheimischen mit Steinen und Flüchen vertrieben.

An dieser Stelle muss ich anführen, dass der Norden Laos von einem animistischen Weltbild geprägt ist, welches beinhaltet, dass die belebte Materie von Geistern und Dämonen beseelt wird. Eine Behinderung wird nicht als Erkrankung gesehen, sondern ist der Ausdruck von einem von Dämonen besessenen Menschen. Die Angst vor diesen ist so groß, dass Neugeborene mit offensichtlichen Missbildungen unverzüglich „gestorben“ werden und so ist die Reaktion der Einheimischen auf jeden Fall erschreckend, aber mit diesem Wissen nachvollziehbar.

Nun habe ich auf meinen Reisen eine Sache gelernt: Mische dich nie in Interna ein! - An diesem Abend ist mir dies noch gelungen, was sich am zweiten Abend änderte. Die Situation war die gleiche, nur dieses Mal suchte der Junge Schutz zu meinen Füßen. Man kann sich vorstellen, wie sehr mich diese Situation aufwühlte und wie hilflos man sich dabei fühlt. Inmitten dieser emotionalen Achterbahnfahrt war der Junge plötzlich verschwunden und auch entlang der geradlinig verlaufenden Straße nicht mehr zu sehen. In das Surren der Nacht mischte sich jedoch nun ein Wimmern und so machte ich mich auf die Suche nach der Quelle. Ich fand sie - der Junge war in einen Abwasserkanal am Straßenrand gestürzt. Jetzt zögerte ich nicht mehr, sprang in den Graben und nahm ihn in meine Arme.

R2Dieser Abend ist nun 5 Jahre her und mit dem, was seither passiert ist, könnte ich ein Buch füllen. Nuong, so ist sein Name, geht es heute dank der Organisation „SOS Kinderdörfer weltweit“ wieder gut. Seine Klumpfüße konnten mit Hilfe der Spenden unserer Schule behandelt werden. Nach eineinhalb Jahren "Aufpäppeln" im SOS Kinderdorf Sam Neua, lebt er seit zwei Jahren durch finanzielle Unterstützung bei seinem Onkel – die Eltern sind tödlich verunglückt - in der Nähe von Vieng Xay.

In den vergangen Jahren konnte ich ihn im SOS Kinderdorf Sam Neua und bei seinem Onkel besuchen. Dort machte ich mir persönlich ein Bild von der ausgezeichneten Arbeit der SOS-Kinderdorf-Organisation und der Verwendung unserer Spendengelder. Mein Besuch in dieser abgelegenen Region der Welt war für alle Beteiligten aufsehenerregend und einzigartig – sogar ein Fotoreporter der Staatszeitung „Vientiane Mai“ war dabei.

Bei dieser Reise hatte ich eine stattliche Summe an Spendengeldern der „Kinder helfen Kindern“-AG im Gepäck und auf Wunsch der Schüler*innen sollte diese in Fahrräder für die Kinder im Kinderdorf angelegt werden. Erwartungsgemäß entwickelte sich auch dieses Unterfangen zu einem kleinen Abenteuer – schließlich kann man in Laos nicht einfach in einen Laden gehen und Fahrräder kaufen oder auf die Schnelle 10.000.000 Kip auftreiben. Ein großes Problem stellte im weiteren Verlauf des Deals die sprachliche Barriere dar – aber dank des immer mitgeführten Skizzenblocks und meinen vielsagenden Zeichnungen konnte auch dieses gelöst werden. Letztendlich habe ich alle verfügbaren Fahrräder im Ort auf eine lange Zeit aufgekauft und den Transport mit einem Laster organisiert. Am Ende entlockte der größte Deal seines Lebens dem laotischen Verkäufer sogar ein zufriedenes Lächeln. Die Leitung des Kinderdorfes war sichtlich bewegt, aber auch gänzlich überfordert von unserer Spende – dies liegt sowohl an der laotischen Mentalität als auch an dem sozialistischen, politischen System.

Aus Vientiane erhielt ich nach meiner Rückkehr von Mr. Soumata Dengchampa, dem Direktor der SOS-Kinderdorf-Organisation in Laos, folgende Nachricht (Auszug):

“First of all I would like to say thank you very much for everything that you support us, especially Noung. you are a very kind person. I hope that you will keep supporting our village and Noung. great work you do for the children …”

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Wie soll es nun weiter gehen? Auch dieses Jahr haben sich einige Schüler*innen gefunden, die in der AG „Kinder helfen Kindern“ mitarbeiten, Vorträge halten und bei unseren schulischen Veranstaltungen Spenden durch den Verkauf von Köstlichkeiten sammeln wollen. Natürlich unterstützen wir auch in Zukunft die SOS-Kinderdorf-Organisation und darüber hinaus sollen in dem Dorf, in welchem Nuong heute lebt, sanitäre Anlagen – es gibt weder eine Wasserversorgung, Toiletten noch eine Waschgelegenheit – in Zusammenarbeit mit der deutschen NGO „Bambus Schule“ gebaut werden.

Unterstützen Sie bitte unsere Arbeit finanziell und helfen Sie mit, dass unser Wunsch in Erfüllung geht.

Stefan Riepl

Download:
Laos-Projekt_Praesentation.pdf