Eine Schauspielerin als Namensgeberin für eine Schule!
Der eine oder andere fragt sich wohl, warum. Wer sich jedoch mit "der Giehse", wie sie von ihren Künstlerkollegen gerne lapidar genannt wurde, näher beschäftigt, wird von ihr beeindruckt sein. Den Künstlernamen "Therese Giehse" hatte übrigens ihre Schwester Irma für Therese ausgesucht.
Wenn man sich Thereses Leben genauer ansieht, fällt auf, dass sie bereits in jungen Jahren die Rollen von Müttern und reifen Frauen spielte. Vielleicht hing dies auch mit ihrem Erscheinungsbild zusammen. Sie selbst behauptete von sich: "Ich war dick und rothaarig und hatt‘ den Herrn Jesus umgebracht" (Letzteres eine Anspielung auf ihre jüdische Herkunft). Aufgrund ihrer äußeren Erscheinung schien auch ihre Familie, die den Familiennamen GIFT trug, ihren Wunsch, Schauspielerin zu werden, nicht besonders ernst genommen zu haben. Denn: Eine Schauspielerin hat schön, schlank und grazil zu sein. Nichts von dem war bei Therese zu erkennen. Dennoch schaffte sie es. Und obwohl sie von sich selbst sagte: "Ich weiß, ich bin zu dick, aber das Gretchen will ich ja gar nicht spielen", schenkte ihre Lehrerin Toni WittelsStury ihr solche Rollen nicht. Diese stand auf dem Standpunkt, man müsse einem gewissen Schauspiellevel eben jene Rollen abverlangen, die die Schauspieler nicht unbedingt aus ihrem Naturtalent heraus schaffen. Entsprechend wurde sie gefordert und gefördert. Ähnlich wie wir unseren Schülerinnen und Schülern auch Leistungen in Fächern abverlangen, die sie überhaupt nicht mögen bzw. "können".
Nach ihrem Debüt 1920 in München spielte Therese Giehse dann an verschiedenen Provinzbühnen; ein Weg, für den sich heute viele junge Schauspielerinnen und Schauspieler zu schade sind, der aber für viele große Schauspielerinnen und Schauspieler eine Grundvorraussetzung für ihren Erfolg war.
Von 1926 – 1933 war sie an den Kammerspielen in München engagiert, wo sie sich unter der Leitung von Otto Falckenberg als großartige "Menschenbildnerin" profilierte. 1949 kehrte sie an dieses Haus zurück und blieb München im Großen und Ganzen treu, ohne jedoch die Züricher zu vernachlässigen, die ihr so großzügig Asyl geboten hatten, als sie als Jüdin 1933 emigrierte.
Zu diesem Schritt in die Emigration trug auch mit bei, dass sie am 1. Januar 1933 mit Erika Mann zusammen das antifaschistische Kabarett "Pfeffermühle" gegründet hatte. Den Geschwistern Mann war sie, obwohl zehn Jahre älter, stets freundschaftlich verbunden. Klaus Mann widmete ihr u. a. seinen Roman "Mephisto".
Therese Giehse wirkte in vielen noch heute oft aufgeführten Stücken mit: Sie spielte die "Mutter Courage" in der Inszenierung von Brecht in den Münchner Kammerspielen, die Claire Zachanassian in Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" oder die Nervenärztin Frau von Zahnd in den "Physikern", eine Rolle die Dürrenmatt extra für seine "These", wie er sie liebevoll nannte, umgeschrieben hatte. Sie spielte aber auch für Gorki, Wedekind, Hauptmann, Schweikart, Sperr, Kroetz, Stein und viele mehr. Und bei all diesen Namen können wir wieder den direkten Bezug dazu herstellen, warum wir ausgerechnet Therese Giehse als Namensgeberin für unsere Schule gewählt haben. Denn etliche der Werke und der genannten Autoren finden sich wieder im Literaturunterricht in den verschiedenen Jahrgangsstufen.
Viele Realschulen werden nach bedeutenden Persönlichkeiten aus Naturwissenschaft und Technik oder aus Politik und Wirtschaft benannt. Warum werden so selten Namen aus dem Bereich der Kunst und Kultur gewählt? Die Realschule ist eine allgemein bildende und weiterführende Schule. Ist damit nicht gerade uns die Aufgabe gestellt, unseren Schülerinnen und Schülern in der doch relativ kurzen Zeit, die sie bei uns verbringen, einen Zugang zu Kunst und Kultur zu vermitteln? Einen Zugang zum Theater oder zur Schauspielkunst, den kann unsere Namensgeberin sicher gewähren.
Als die Idee aufkam, Therese Giehse zur Namensgeberin unserer Schule zu machen, wurden die "Münchner G’schichten", jene Serie über das Leben in München in den 70er Jahren, wiederholt. Diese Kultserie zeigt eine "Oma", nämlich Therese Giehse als "Oma Häusler", die Verständnis für ihren Enkel hat, auch wenn dieser arbeitsscheu ist und mit einer gewissen Portion Charme und ungeheurer Treffsicherheit kein Fettnäpfchen und keinen Misserfolg auslässt. Sie trägt dieses Verständnis zwar nicht immer zur Schau, lässt es ihn jedoch spüren. Wer wünschte sich nicht diese Oma, die versteht, dass jeder junge Mensch "einmal nach Sakramento" muss. Ein Spruch aus der Serie sei hier zitiert. Der Filmenkel "Tscharlie" nimmt einen Zettel vom schwarzen Brett des Altenheims, in das "die Oma" ziehen soll, da das Mietshaus, in dem sie ein Leben lang gewohnt hat, doch einem Miethai anheimfällt. Therese Giehse sprach ihn in der Serie in ihrer unvergleichlich verhaltenen und eindringlichen Art mit ihrem besonders rollenden "R":
"Wer morgens dreimal schmunzelt,
mittags nicht die Stirne runzelt,
abends singt, so dass es schallt,
der wird hundert Jahre alt."
Vielleicht sollten wir diesen Spruch in unserem Herzen, aber auch im Kopf behalten, wenn wir an Therese Giehse denken, denn er trifft mitunter die ungeheuer bescheidene und enorm arbeitsintensive Persönlichkeit der Giehse, die sich bis ins hohe Alter großes Verständnis für die JUNGEN - sei es privat oder in ihrem Beruf - bewahrt hat und die selbst im Alter von 75 Jahren eine Resolution von Berufsschülerinnen und -schüler gegen bürokratische Schikanen unterschrieb mit "Therese Giehse, Lehrling, 75 Jahre alt".